Neue Rechtsprechung zur Durchsetzung von Pflegegeld – insbesondere bei Verwandtenpflege

Gerade, wenn Pflegepersonen mit dem Pflegekind verwandt sind, kommt es in der Praxis immer noch zu Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Pflegegeldes. Dies betrifft vornehmlich Fälle, in welchem die Pflegeeltern oder ein Pflegeelternteil mit dem Kind in gerader Linie verwandt sind, also meistens Anträge auf Pflegegeld einer Großmutter oder eines Großvaters. Aber auch in anderen Verwandtschaftsbeziehungen (etwa Pflege durch Onkel, Tante, Geschwister usw.) erlebt der Unterzeichner hier immer wieder Probleme.

Die häufigsten Gegenargumente von Jugendämtern:
Nicht selten wird von Seiten der Jugendämter argumentiert, die sorgeberechtigten Eltern hätten ihr Kind zwar in die Obhut dieser Verwandten geben können. Hieran sei jedoch das Jugendamt nicht beteiligt gewesen, so dass auch ein Pflegegeld nicht zu zahlen wäre. Immer wieder erlebt der Unterzeichner auch, dass von Seiten der Jugendämter argumentiert wird, ein Pflegegeld könne nicht bezahlt werden, da er in der Pflegefamilie kein Hilfebedarf bestünde, das Kind entwickele sich doch dort gut. Daneben wird oft argumentiert, bei der – oft privat initiierten – Verbringung des Kindes in eine Verwandtenpflegestelle handele es sich um ein rein „familieninternes Agreement“. Diese Argumente laufen letztlich darauf hinaus, dass von Seiten der Jugendämter die Notwendigkeit der Einrichtung einer Vollzeitpflege infrage gestellt wird. Mitunter versuchen Jugendämter die Anträge auf Pflegegeld auch mit dem Argument abzuwehren, dass die ohne Vermittlung des Jugendamtes installierten Pflegeeltern nicht geeignet im Sinne des Gesetzes wären.

Neue Verwaltungsgerichtsentscheidungen für Pflegeeltern:
Der Unterzeichner konnte hier für Pflegeeltern Pflegegeld mehrfach erfolgreich durchsetzen. Beispielhaft werden hier zwei jüngere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen auszugsweise zitiert, in welchen auch auf die oben zusammen gefassten Argumente eingegangen wird.

Im Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 08.09.2011 (Aktenzeichen: 3 A 5/11) heißt es etwa insoweit (Hervorhebungen jeweils durch den Verfasser):

„Die Kläger haben einen Anspruch auf die Gewährung von Hilfe zur Erziehung und Vollzeitpflege nach §§ 27 I, 33, 39 SGB VIII ab 17.09.2010 (…). Der erzieherische Bedarf entfällt hier auch nicht wegen der Stellung der Kläger als Vormünder. Die Betreuung von Kindern, bei denen ein Erziehungsausfall auf Seiten der Eltern besteht, kann auch ohne öffentliche Jugendhilfe geleistet werden. Dafür kommen beispielsweise Verwandte, Verschwägerte, Vormünder und Pfleger in Betracht, welche nach § 44 I Satz 1 Nr. 2 und 3 SGB VIII nicht einmal eine Erlaubnis zur Vollzeitpflege benötigen. Ein Vormund kann eine jugendhilfeunabhängige Betreuung selbst im Rahmen seiner Personensorge als Vormund erbringen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die Frage, ob ein Vormund ein Anspruch auf Leistungen nach § 39 SGB VIII hat, entscheidend, ob dieser (weiterhin) zu einer jugendhilfeunabhängigen Betreuung bereit ist, oder, etwa durch einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung zum Ausdruck bringt, die Betreuung nunmehr nur noch als Vollzeitpflege in seiner Familie als Pflegefamilie zu erbringen (BVerfG, Urteil vom 15.12.1995 – 5 C 2.94 – BVerfGE 100, 178; Urteil vom 04.09.1997 – 5 C 11.96 – FEVS 48, 289; so auch OVG NW, Urteil vom 06.09.2004 – 12 A 3625/03 – juris; OVG Bremen, Urteil vom 16.11.2005 – 2 A 111/05 – 2 A 111/05 juris; Sächs. OVG, Beschluss vom 28.05.2009 – 1 A 54/08 – NVwZ-RR 2010, 584). Der erzieherische Bedarf kann also auch bei einer von dem Vormund bzw. den Großeltern tatsächlich geleisteten Betreuung nicht als gedeckt angesehen werden, wenn der Vormund bzw. die Großeltern durch einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung deutlich gemacht haben, dass sie zu einer unentgeltlichen Pflege nicht (mehr) bereit sind. (…)

Die Kläger haben mit dem Antrag auf Hilfe zur Erziehung vom 17.09.2010 zum Ausdruck gebracht, zu einer unentgeltlichen Pflege und Erziehung (des Kindes) nicht mehr bereit zu sein.
Damit war der erzieherische Bedarf im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB VIII trotz der tatsächlich fortdauernden Betreuung nicht mehr gedeckt. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Vormundschaftsregelungen ist nicht zu verlangen, dass die Kläger hätten ankündigen müssen, das Kind selbst keinesfalls mehr unentgeltlich betreuen zu wollen. Ein solcher, in vielen Fällen nur zur Erlangung von Zahlungen des Jugendamtes aufgebauter Druck läge nicht im Interesse des Kindes. Die Ernsthaftigkeit der Erklärung wäre schwer zu überprüfen. Die Kläger haben zwar nicht die Aufgabe der Betreuung bei ausbleibender Zahlung von Pflegegeld in Aussicht gestellt, aber doch hinreichend deutlich gemacht, dass sie zu einer unentgeltlichen Betreuung nicht bereit sind und den Hilfefall in die Hände des Jugendamtes legen. Das nach der Entwicklung des Falles eine andere Maßnahme als die Unterbringung (des Kindes) in ihrer Familie nicht in Betracht kommt, darf ihnen bei Verfolgung ihres Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung nicht zum Nachteil gereichen. (…).

Während eine Voraussetzung nach der Bundesverwaltungsgerichts-rechtsprechung – die fehlende Unterhaltspflicht bzw. bestehende Pflicht zur unentgeltlichen Betreuung – durch § 27 Abs. 2a SGB VIII obsolet geworden ist, bleibt die andere Voraussetzung – fehlende Bereitschaft zur unentgeltlichen Betreuung weiterhin zu fordern. Davon ist hier – wie gezeigt – auszugehen. Die Kläger müssen auch nicht darlegen, finanziell zu einer Betreuung nicht in der Lage zu sein. Leistungsauslösender Tatbestand für die Annexleistung der Sicherstellung des notwendigen Unterhalts gemäß § 39 SGB VIII ist allein die Gewährung von Hilfe zur Erziehung nach §§ 32 – 35 SGB VIII bzw. von Eingliederungshilfe in Einrichtung nach § 35a Abs. 2 Nr. 2 – 4 SGB VIII. Eine materielle Bedürftigkeit der Anspruchsberechtigten oder des Kindes ist nicht erforderlich (Wiesner, SGB VIII, Kommentar, 4. Aufl., § 39 Rdnr. 10). Die Leistungen werden nach § 91 Abs. 5 SGB VIII unabhängig von Einkommen und Vermögen gewährt. Der Nachrang der Jugendhilfe wird durch Kostenbeiträge nach §§ 91ff. SGB VIII gesichert, wobei zu den Kosten der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII nur die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst heranzuziehen sind (§ 91 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII).

Die klägerische Familie ist eine „andere Familie“ im Sinne des § 33 Satz 1 SGB VIII. Die Pflegefamilie ist auch bei einer Verwandtenpflege bzw. einem Vormund keine neue oder alternative „Herkunftsfamilie“, sondern immer eine „andere Familie“. Die Herkunftsfamilie ist die Familie, aus der das Kind ursprünglich kommt (BVerfG, Urteil vom 15.12.1995 – 5 C 2.94 – aaO). Die Übernahme der Pflege und Erziehung durch einen Verwandten lässt den Bedarf an Erziehung in der Herkunftsfamilie unberührt.

Ein erzieherisches Defizit in der Pflegefamilie ist für die Hilfe nach §§ 27 Abs. 1, 33, 39 SGB VII nicht erforderlich (BVerfG, Urteil vom 04.09.1997 – 5 C 11.97 – aaO; Sächs. OVG, Beschluss vom 28.05.2009 – 1 A 54/08). Auch die Kläger können nicht erst Hilfe zur Erziehung und Vollzeitpflege verlangen, wenn sie ihrerseits das Kind in eine weitere Familie geben müssten.

Dass der Träger der Jugendhilfe im vorliegenden Fall seine Steuerungsverantwortung im Sinne des § 36a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nicht durch eine Entscheidung zur Aufnahme in die Pflegefamilie nach Maßgabe eines Hilfeplans wahrnehmen konnte, ist kein Hindernis für eine Bewilligung zur Hilfe zur Erziehung (…) Entgegen der Wertung der Beklagten wird die Hilfe zur Erziehung hier nicht zu einer bloßen wirtschaftlichen Hilfe – das Jugendamt nicht zu einer „Zahlstelle“ degradiert. Der Jugendhilfeträger kann weiterhin über die Art und Ausgestaltung der Hilfe entscheiden, den Jugendhilfeplan pädagogisch beeinflussen und beratend tätig werden, worauf die Kläger im Erörterungstermin ausdrücklich Wert gelegt haben. Das Bundesverwaltungsgericht weist zu entsprechenden Bedenken von Jugendämtern darauf hin, der Gesetzgeber habe nun einmal die Leistungen zum Unterhalt nach § 39 SGB VIII als Bestandteil mit großem Gewicht zur Sicherstellung der Pflege ausgestaltet (BVerfG, Urteil vom 15.12.1995, aaO).“

Das Verwaltungsgericht Gießen hat in einem Urteil vom 14.09.2011 (Aktenzeichen: 2 K 5592/10.GI) ebenfalls einer Großmutter und Pflegemutter das Pflegegeld zugesprochen. Zu dem Vorwurf des Jugendamtes, diese sei angeblich nicht im jugendhilferechtlichen Sinne geeignet, führt das Gericht aus:

„Maßgeblicher Angriffspunkt Beklagtenseite ist hierbei die Geeignetheit der Klägerin in diesem Sinne, wobei entscheidend darauf abgestellt wird, dass die Klägerin in der Vergangenheit im Rahmen der für die Töchter erhaltenen Hilfe zur Erziehung gezeigt habe, dass sie zur Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nicht bereit oder nicht in der Lage sei. Wegen dieser fehlenden Kooperationsbereitschaft geht der Beklagte von der Ungeeignetheit der Klägerin als Vollzeitpflegestelle aus. Diese Einschätzung, die das Ergebnis des kooperativen pädagogischen Entscheidungsprozesses darstellt und auch nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist aufgrund des dem Jugendhilfeträger zustehenden Beurteilungsspielraumes (…) teilt das Gericht nicht. Ganz entscheidendes Kriterium für die Ablehnung des Antrags durch den Beklagten ist die angenommene fehlende Kooperationsbereitschaft der Klägerin mit dem örtlich zuständigen Träger der Jugendhilfe. Diese Einschätzung basiert ausschließlich auf den Erfahrungen, die aus dem Zeitraum 2004 bis 2008 stammen und den in dieser Zeit erbrachten Hilfe zur Erziehung bezüglich insbesondere der Tochter X, aber auch der Tochter Y erbracht wurden. In dieser Zeit – nachdem die Tochter X, die Kindesmutter von Z erlittenen Missbrauch durch einen Nachbarn – war das Familiengefüge der Klägerin gänzlich durcheinander geraten. Betroffen von dieser Situation war nicht nur X selbst, sondern auch ihre 4 Jahre jüngere Schwester Y, die sich nach Angaben der Klägerseite schon immer sehr eng mit ihrer älteren Schwester verbunden fühlte, die Klägerin als Mutter der Mädchen und der Vater, der sich in dieser Zeit zur Trennung von der Familie entschloss. Diese Extremsituation verschärfte sich auch noch durch die frühe Schwangerschaft von X im Jahre 2005, die zur heftigen Auseinandersetzung der Tochter und auch ihrer Schwester mit der Mutter führte. Dass die Klägerin in diesen Jahren nicht immer das von dem Beklagten erwartete einsichtige und stets kooperative Verhalten zeigte, lässt sich den Ausführungen der Beklagtenseite und dem Auszug aus dem diesbezüglichen Akten (Handakte) entnehmen, führt aber bei gerichtlicher Überprüfung nicht zu der Einschätzung, dass hieraus die Schlussfolgerung einer grundsätzlichen Unfähigkeit oder fehlenden Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Träger Jugendhilfe und durch die Klägerin geschlossen werden kann. Es ist für das Gericht nach dem Gesamtvortrag beider Parteien sehr gut nachvollziehbar, dass die damaligen Umstände (aus den Jahren 2004 bis 2008) für beide Seiten schwierig und aufreibend gewesen sind. Die Klägerin, die sich seinerzeit auch der Unterstützung der Organisation Wildwasser bediente, geriet offenbar bisweilen in kaum auflösbare Konflikte, welche Hilfen nun die am besten geeigneten seien. Dass sie sich dem Beklagten gegenüber in dieser Extremsituation nicht als besonders kooperativ darstellte, lässt jedoch den von der Beklagtenseite gezogenen Schluss auf die aktuelle Situation nicht zu, da hierbei in keiner Weise dargelegt wurde, aufgrund welchen allgemein gültigen Bewertungsmaßstabs diese Übertragung auf die Betreuung des Enkels erfolgt ist.

Es ist in keiner Weise nachvollziehbar, inwiefern die Klägerin, die seit dem Jahr 2008 konstant und auch davor schon bei Bedarf sporadisch die Betreuung ihres Enkelkindes in offenbar beanstandungsfreier Weise wahrnahm und weiter wahrzunehmen bereit ist, und die das Gespräch und die Zusammenarbeit mit Kindergarteneinrichtungen, Therapeuten und Jugendamt sucht, für diesen Zeitraum und auch für die Zukunft als ungeeignete Pflegeperson qualifiziert wird. Es handelt sich hier um zwei voneinander getrennte Lebenssituationen und Lebensabschnitte, die von der Beklagtenseite in nicht nachvollziehbarer Weise als ein und derselbe Lebenssachverhalt behandelt und dargestellt werden. Aus einem – bisweilen sicherlich chaotischem Verhalten, das durch eine dramatische Situation in der Familie durch den erlittenen Kindsmissbrauch der Tochter X hervorgerufen wurde – auf künftig ähnliches Verhalten der Klägerin in heute gänzlich veränderten Lebensumständen zu schließen, verkennt eben diesen Umstand der eingetretenen Veränderungen, bzw. der Verschiedenheit der Lebenssachverhalte.“

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Rechtsanwalt Steffen Siefert,
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