Verbleib eines Pflegekindes in der Bereitschaftspflegefamilie

Häufig werden Pflegekinder nach einer Herausnahme bei den leiblichen Eltern zunächst in einer Bereitschaftspflegefamilie untergebracht. Dies dient meist der Klärung der Situation, ob und inwieweit eine Rückführung zu den leiblichen Eltern in Betracht kommt. Auch zögert das Jugendamt oft mit der Vermittlung des Kindes in eine Dauerpflegefamilie, wenn und solange noch familiengerichtliche Verfahren anhängig sind. Hierbei kommt es immer wieder dazu, dass Pflegekinder deutlich länger in der Bereitschaftspflegefamilie belassen werden (müssen), als dies nach den Fachstandards geboten wäre. Gerade Säuglinge und Kleinkinder binden sich hier natürlich nach gewisser Zeit auch an ihre Bereitschaftspflegeeltern, selbst wenn diese von Anfang an in der Rolle von Bereitschaftspflegeeltern tätig sind. Letztlich geht aber die Bindung vom Kind aus und ist als solche kaum zu verhindern, jedenfalls nicht ohne massive Kindeswohlschädigungen in Kauf zu nehmen.

Der Verfasser wird immer wieder von Bereitschaftspflegeeltern angesprochen, welche zwar ursprünglich nicht als Dauerpflegeeltern angetreten sind, jedoch inzwischen der Auffassung sind, das Pflegekind sollte nicht aus ihrer Bereitschaftspflegefamilie heraus in eine Dauerpflege vermittelt werden. In der Tat ist je nach Lebensalter des Kindes und Zeitspanne des Verbleibs in der Bereitschaftspflege nach entsprechender Verfestigung der Bindung oft mehr als fraglich, ob dem Kind ein solcher Wechsel in eine Dauerpflegefamilie noch zugemutet werden kann.

Dennoch wird von Jugendämtern eine solche Vermittlung teilweise auch nach sehr langer Pflegedauer in der Bereitschaftspflege noch angestrebt.

Bereitschaftspflegeeltern können hier jedoch wie alle anderen Pflegepersonen versuchen, den Verbleib des Pflegekindes in ihrer Familie durchsetzen.

Auch Bereitschaftspflegeeltern können Verbleibensantrag stellen.
Häufig wird von Jugendämtern, teilweise auch von Gerichten eingewandt, die Möglichkeit eines Verbleibensantrages nach § 1632 IV BGB stünde Bereitschaftspflegeeltern nicht zu. Diese hätten sich vertraglich verpflichtet, an der Rückführung mitzuwirken. Oft wird auch argumentiert, der Schutz des § 1632 IV BGB erstrecke sich nicht auf Bereitschaftspflegeeltern, da diese keine „Familienpflege“ im Sinne dieser Vorschrift seien. All dies ist jedoch falsch! Auch Bereitschaftspflegeeltern können für den Verbleib ihres Kindes einen Verbleibensantrag stellen. Die einschlägige Vorschrift, § 1632 IV BGB lautet:

„Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde“.

§ 1632 IV BGB gibt Pflegepersonen ausdrücklich ein Antragsrecht, um zu verhindern, dass Pflegekinder zur Unzeit aus der Familie herausgenommen werden und hierdurch einen Schaden erleiden. Voraussetzung hierfür ist nach dem Gesetzeswortlaut, dass das Kind „in Familienpflege“ lebt. Unerheblich ist dabei der Status der Pflegeeltern. Antragsberechtigt sind sowohl Dauer- als auch Bereitschaftspflegeeltern. Insoweit heißt es ausdrücklich bei Palandt-Diederichsen (BGB, Kommentar, 69. Auflage, § 1632 Rdnr. 10):

„Familienpflege ist nicht nur die Dauer, sondern auch die Bereitschaftspflege (Hamm, FamRZ 2003, 54)“.

Da die Norm Kinder und ihr gesundes Aufwachsen ohne schädliche Bindungsabbrüche schützt, kann es also nicht auf die „Etikettierung“ des Pflegeverhältnisses ankommen. Dies ist auch vor dem Hintergrund des Schutzzwecks der Norm, gesundes Aufwachsen von Kindern zu garantieren, ohne weiteres nachvollziehbar. Auch nach dem OLG Hamm (FamRZ 2011, 166 f.) ist Familienpflege „jedes faktische Pflegeverhältnis familienähnlicher Art, gleichgültig, ob ein Pflegevertrag oder eine etwa erforderliche Pflegeerlaubnis vorliegen (BGH, FamRZ 2001, 1449 = NJW 2001, 3337 ff.)“

Damit steht auch Pflegeeltern nach der Rechtsprechung und auch der Kommentarliteratur eindeutig das Recht zu, einen Verbleibensantrag bei beabsichtigter Herausnahme zur Durchsetzung entweder einer Rückführung in die Herkunftsfamilie oder aber zur Durchsetzung eines Wechsels in eine Bereitschaftspflegefamilie zu stellen. Entgegen des Wortlautes der oben zitierten Vorschrift kann der Verbleibensantrag auch gestellt werden, wenn die Herausnahme nicht von den Kindeseltern begehrt wird, sondern wenn ein Amtsvormund oder ein Amtspfleger die Herausnahme fordert. Letztlich kann der Verbleibensantrag gegen jeden Inhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechtes eingereicht werden.

In einem Verfahren vor dem Gericht wird dann geprüft, ob die Herausnahme für das Pflegekind noch verkraftbar ist. Letztlich wird das Familiengericht hierzu ein kinderpsychologisches Sachverständigengutachten einholen.

Erhöhter Schutz für Pflegekinder bei bloßem Pflegestellenwechsel
Die Rechtsprechung geht dabei davon aus, dass das Kindeswohl letztlich immer Vorrang haben muss. Gerade das Bundesverfassungsgericht, und ihm folgend die obergerichtliche Rechtsprechung, haben hier sehr differenzierte Regelungen geschaffen, welches Risiko für ein Pflegekind überhaupt noch hinnehmbar ist. Dabei gilt, dass ein etwas größeres Risiko dann hinnehmbar ist, wenn eine Rückführung des Kindes zu den leiblichen Eltern geplant ist. Aber auch hier besteht ein sehr effektiver Schutz vor schädlichen Folgen des Bindungsabbruchs.

Es kommt hierbei auch nach einer gewissen Zeit nicht mehr auf die Erziehungsgeeignetheit der Kindeseltern an. Alleine die Dauer des Pflegeverhältnisses kann dazu führen, dass der dauerhafte Verbleib anzuordnen ist, wenn bei Herausnahme ein Schaden droht.

Die grundsätzliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes E 68, 176 ff. (NJW 85, 413) lautet im Tenor:

„Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 1666 I 1 BGB bei der Weggabe des Kindes in Familienpflege allein die Dauer des Pflegeverhältnisses zu einer Verbleibensanordnung nach § 1632 IV BGB führen kann, wenn eine schwere und nachhaltige Schädigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes bei seiner Herausgabe an die Eltern zu erwarten ist“.

Dies folgt letztlich aus dem Grundsatz des Vorranges des Kindeswohls vor dem Elternrecht.

Ein noch strengerer Maßstab wird vom BVerfG zum Schutze der Pflegekinder angewendet, wenn es sich um einen bloßen Pflegestellenwechsel handelt. Insoweit ist die einschlägige Grundsatzentscheidung BVerfGE 75, 201 ff. (= FamRZ 1987, 786 = NJW 1988, 125) ergangen. Diese Entscheidung behandelt den Fall, dass ein Pflegekind nicht zu den leiblichen Eltern verbracht werden soll, sondern dass lediglich ein Wechsel der Pflegestelle bezweckt wird. Nach Ansicht des BVerfG ist die Risikogrenze deutlich enger zu ziehen, wenn es nur um die Durchsetzung des Personensorgerechts in Form des Aufenthaltsbestimmungsrechts, konkret um einen Wechsel der Pflegeeltern geht. Das BVerfG führt wörtlich aus, dass einem solchen elterlichen Herausgabeverlangen nur stattzugeben ist, wenn mit hinreichender Sicherheit auszuschließen ist, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern mit psychischen oder physischen Schädigungen verbunden sein kann (E 75, 201, 220).

Die maßgebliche verfassungsgerichtliche Entscheidung E 75, 201 ff. lautet im Tenor:

„§ 1632 Abs. 4 BGB ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass dem Herausgabeverlangen der Eltern oder eines Elternteils, mit dem nicht die Zusammenführung der Familie, sondern ein Wechsel der Pflegeeltern bezweckt wird, nur stattzugeben ist, wenn mit hinreichender Sicherheit eine Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes ausgeschlossen werden kann“.

Auch Palandt-Diederichsen, (68. Aufl. § 1632 Rdnr. 16), stellt unter Bezugnahme auf BVerfG NJW 88, 125 ausdrücklich fest, dass „eine Kindeswohlgefährdung mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen“ sein muss. Ebenso entscheidet regelmäßig die höchstrichterliche Rechtsprechung, etwa OLG Bremen, FamRZ 2003, 54; OLG Köln, FamRZ 2007, 658 ff.

Geht es also lediglich um den Wechsel des Kindes aus der Bereitschaftspflegefamilie in eine Dauerpflegefamilie, so gilt die oben zitierte strengere Rechtsprechung. Mit anderen Worten: Es müsste dann im Grunde jeglicher Schaden für das Kind durch die Herausnahme ausgeschlossen werden können.

Wegen dieser hohen Hürde haben Bereitschaftspflegeeltern jedenfalls ab einer gewissen Pflegedauer und Bindungsverfestigung grundsätzlich äußerst realistische Aussichten, den Verbleib des Kindes in ihrer Familie als Dauerpflegekind durchzusetzen. Die Einreichung eines Verbleibensantrages kann daher hier sehr effektiv sein, um dem Kind einen abermaligen, eventuell unnötigen Wechsel zu ersparen. Der Verfasser konnte Pflegeeltern hier in einer Vielzahl von Verfahren erfolgreich vertreten.

Sollten Sie weitere Informationen oder eine Beratung wünschen, so wenden Sie sich bitte an den Verfasser.

Rechtsanwalt Steffen Siefert,
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